Meeting oder Theaterspiel?

Pro und Kontra zur Besprechungskultur in Unternehmen

Artikel in der Tiroler Tageszeitung vom 6. Juli 2019

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Woher die Meetingkultur kommt? Ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, als man begann, in fast allen Unternehmen Abteilungen zu bilden, sagt Redner Lens Vollmer.

Meeting oder Theaterspiel?

Ob Besprechung, Meeting, Jour fixe oder Konferenz: Für 8 von 10 Arbeiternehmern sind diese Zusammenkünfte ineffektiv. Ein Kritiker und ein Befürworter im Gespräch.

Von Nina Zacke

Telfs, Barcelona – Montags, 10 Uhr, Besprechungsraum eines Tiroler lT-Unternehmens: Der eine Kollege checkt heimlich seinen Facebook-Account, mimt aber den aktiven Zuhörer, während der andere hinter vorgehaltener Hand bereits das fünfte Mai gähnt und danach jedes Mal zustimmend nickt. Der Grund: Das anberaumte Meeting dauert bereits eine Stunde. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht, geschweige denn ein Ergebnis.

Durchschnittlich sitzen Büroangestellte 16.5 Stunden pro Monat in Besprechungen, Meetings, Jours-fixes oder Konferenzen. So gaben laut einer aktuellen Studie vonSharp Business Systems 8 von 10 Arbeitnehmer an, dass sie Meetings mehrheitlich als ineffektiv empfinden. Mehr als die Hälfte der Befragten beklagten, dass die Besprechungen meíst nicht zu klaren Ergebnissen führen und zudem langweilig sind.

Für den deutschen Unternehmer und Redner Lars Vollmer sind Meetings meist redundant und einfach nur Theater. Was er damit meint. erklärt Vollmer im Detail: „Businesstheater ist eine der populärsten Formen von Beschäftigung die ich von dem Begriff Arbeit unterscheide. Das ist nämlich eine Tätigkeit, die Mitarbeiter nicht für den Kunden, sondern zum Erhalt des Systems tun.“

Das klinge nach einer Lappalie, sei aber ein Riesenunterschied, betont der Bestsellerautor. Man könnte es auch so formulieren: Theater muss man immer dann spielen, wenn etwas keinen Sinn und Zweck hat. „Und so ist es beim Meeting“, sagt der Management-Guru.

Wer also zu einem Meeting geladen wird, hat zumeist keine Ausweichmöglichkeit. Da sich gelangweilt zu zeigen keine Möglichkeit ist, spielt man das Spiel mit. „Dann verhalten sich die Menschen so, wie sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird. Und das ist typisch für Theater. Man spielt das, was das Publikum von einem erwartet“, erklärt Vollmer. Und so reiht sich das Meeting in eine lange Liste an Formen von Businesstheater ein: Mitarbeitergespräche, Audits, Budgetrunden.

Woher diese Plage kommt, ist für Lars Vollmer ganz klar: ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, als man damit begann, in fast allen Unternehmen funktional zu teilen, also Abteilungen zu bilden.

Aber Meetings seien an sich nicht das Problem, sagt der Ingenieurwissenschafter: „Die Meetingplage selbst ist das Symptom, nicht die Ursache des Problems. Das Problem ist die falsche Organisation für die heute fast immer dynamischen Märkte.“

Und so kommt es, dass Unternehmen sich nicht anders zu helfen wissen, als ein plötzlich auftretendes Ereignis oder ein Problem mit einer Besprechung zu lösen. „Man könnte sagen, es hapert hier an der Fantasie, an der Vorstellungskraft oder einfach an der Auseinandersetzung damit, dass das Meeting selbst, also die Durchführung des Meetings, nicht das Problem darstellt“, kritisiert der gebürtige Sauerländer.

Ganz anders sieht das der Meeting-Befürworter Bernhard Mair: „Ich bin ein Befürworter von Meetings vor dem Hintergrund, dass ich ein Gespräch als Voraussetzung für das Lösen jeglichen Problems betrachte.“ Ohne Dialog funktioniere auch keine Problemlösung, sagt Mair. Bernhard Mair ist Arbeitspsychologe, Unternehmensberater und Mediator.

Seine Expertise wird deswegen des Öfteren in Form einer moderierenden Funktion bei Meetings eingesetzt. Und hier wendet er unterschiedliche Methoden an, um das Einhalten von Redezeiten oder das Erhöhen der Aufmerksamkeit zu garantieren: So entfernt er schon mal den Tisch um dem sich normalerweise die Meetingteilnehmer setzen oder legt einen Redestock in die Mitte der Gruppe. „Ich bin Psychologe und liebe es, Verwirrung zu schaffen“, sagt Mair. Denn: Damit eine Besprechung oder Konferenz erfolgreich abläuft, müssen laut Mair Regeln eingehalten werden.

Zwei Aspekte seien hier maßgeblich: Transparenz und ein geeignetes Setting. „Mit Transparenz meine ich, dass alle Teilnehmer im Vorfeld darüber Bescheid wissen, worum es geht und was das Ziel der Besprechung ist“, erläutert der Psychologe.

Dafür braucht es eine Tagesordnung. Zum Beispiel: Wir besprechen 10 Punkte, haben insgesamt 45 Minuten Zeit und die Redezeiten pro Mitarbeiter sind 4 Minuten. „Das scheint trivial zu sein, aber tatsächlich werden die meisten Besprechungen hierzulande ohne Tagesordnung geführt“, betont der Telfer.

Um ein geeignetes Setting zu finden. müssten sich die Organisatoren fragen: Wo findet das Meeting statt? Wie findet es statt – im Sitzen oder im Stehen? Sind Pausen vorgesehen? Welche Technik ist im Einsatz?

Vor allem „stehende“ Meetings seien besonders effizient. Diese würden nämlich im Allgemeinen zwischen 15 und 25 Prozent schneller ablaufen, hebt der Mediator hervor. So führen Meetings, die im Stehen erfolgen, dazu, dass man eine aufrechte Haltung hat und „sich nicht in den Stuhl zurücklehnen und lümmeln kann“, so Mair. Was Langeweile erst gar nicht aufkommen lässt.

Wer jetzt denkt, man hätte beim Thema Meeting nur eine Entweder-oder-Option täuscht sich. Denn Lars Vollmer hat eine Lösung in petto: Die Ursache bekommt man nur dann in den Griff, wenn man die Organisation neu strukturiert, sagt Vollmer.

Manche Unternehmen tun das unter dem Schlagwort „agile Organisation“. Dabei geht es darum, integrierte Wertschöpfungsteams aufzubauen, also Teams zu gründen, die in Vollzeit aus den verschiedensten Expertisen heraus gebildet werden und die dann ein kundengetriebenes Problem vollständig übernehmen.

Diese Gruppen werden sich auch treffen, aber sie werden – das zeigt die Beobachtung relativ gut – keine klassischen Meetings durchführen“, so der 48-Jährige. Diese Personen werden nur über relevante Probleme ihrer Gruppe sprechen. Denn das Problem geht sie schließlich wirklich etwas an, es ist nicht das Problem der anderen. Dadurch werden die Meetings kürzer und wirksamer, weil sie einen echten Sinn stiften.